Stern, Nr. 18, 26.4.2007
Hören Sie auf Ihren Bauch
S. 61:
Wie wenig unsere analytischen
Fähigkeiten mitunter zum
Tragen kommen, zeigen Forschungen wie die des Ulmer Neurophysiologen
Manfred Spitzer. Er untersuchte die Hirnaktivität von Autofahrern
und stellte erstaunt fest, dass die für Entscheidungsprozesse und
bewusstes Nachdenken zuständigen Bereiche im Frontalhirn beim
Fahrer weniger aktiv waren als beim Beifahrer. Außerdem nahm die
Großhirnaktivität des Fahrers mit steigender Geschwindigkeit
nicht etwa zu, sondern weiter ab. „Da die vergleichsweise langsam im
Großhirn stattfindenden Denkvorgänge ungeeignet sind
für automatisch ablaufende schnelle Prozesse, verlieren sie mit
zunehmender Geschwindigkeit immer mehr Einfluss auf die
Informationsvorgänge beim Fahren“, schließt Spitzer. Die
bewusste Wahrnehmung wird reduziert, damit wir überhaupt in der
Lage sind zu handeln.
S. 62.
Ein Teil der Intuition beruht auf
unserem evolutionärem
Erbe, auf Millionen Jahren alten Verhaltensprogrammen. So können
bereits sechs Monate alte Babys die Gesichter von Männern und
Frauen unterscheiden und reagieren unterschiedlich auf sie. Ein
gesunder Mensch muss nicht lange überlegen, wann es Zeit ist,
wieder etwas zu essen oder zu trinken, wann er den nächsten
Atemzug nehmen soll.
Aber das ist längst nicht alles. Wissenschaftler gehen heute davon
aus, dass im Laufe des Lebens zahllose individuelle Erfahrungen in den
Tiefen des Unbewussten gespeichert werden, auf die der Mensch keinen
direkten, willentlichen Zugriff mehr hat. Trotzdem fließen diese
Informationen in unsere Entscheidungen ein. In dem Augenblick, in dem
schnell eine Wahl zu treffen ist, werden im Unbewussten alle bereits
vorliegenden Erfahrungen auf ihre Nützlichkeit hin
überprüft. Wir denken, ohne zu wissen, dass wir denken. Das
bewusste Denken ist nur die Spitze des Eisberges.
„Das Gehirn arbeitet hocheffizient, indem es einen großen Teil
des komplexen Denkens an das Unbewusste delegiert“, meine der
US-Sozialpsychologe Timothy Wilson. „Das adaptive Unbewusste versteht
es hervorragend, die Umwelt einzuschätzen, Menschen vor Gefahren
zu warnen, Ziele zu setzen und Handlungen in intelligenter und
effizienter Weise einzuleiten.“
S. 66:
„Im Ernstfall kann das Gehirn
dann die richtigen
Entscheidungsmuster blitzschnell abrufen“, erklärt
Truppenpsychologin Katharina Appel. „Intuition ist schließliche
nichts Spukiges, sondern Handeln aufgrund unbewusster
Informationsverarbeitung, die schneller ist als das Bewusstwein. Sie
beruht auf Erfahrung und auf dem, was wir mit den Sinnen wahrnehmen.“